Neuroplastizität: Die Macht der Gedanken über das Gehirn

Über die Neuroplastizität wird seit vielen Jahren geforscht. Aber was ist das? Wir erschaffen durch unser Denken und Fühlen unsere Realität. Was die Wissenschaft heute mit modernen Methoden beweisen kann, hat schon vor rund zweitausend Jahren der römische Kaiser Marc Aurel gesagt: „Auf die Dauer der Zeit nimmt die Seele die Farbe der Gedanken an.“
Denken und Neuroplastizität

Die Wahrheit über unsere Gedanken: Neue Erkenntnisse aus der Hirnforschung

Denken ist ein sehr komplexer Prozess. Jeder Gedanke stellt einen elektrisch und biochemischen Prozess dar. Dabei laufen im Gehirn und im Körper viele verschiedene physiologische Prozesse ab. In der Literatur findet man immer wieder Hinweise darauf, dass der Mensch angeblich pro Tag ungefähr 60.000 bis 80.000 Gedanken denkt. Außerdem ist zu lesen, dass wir durchschnittlich 24 % negative Gedanken haben sollen, 3 % positive Gedanken und der Rest ist ohne besondere Wirkung. Das würde bedeuten, dass der durchschnittliche Mensch achtmal mehr negative Gedanken hat als positive. Wissenschafter gehen davon aus, dass die Anzahl der negativen Gedanken unter Stress stark ansteigt, auf bis zu 70 % und mehr.

 

Woher kommen aber diese Zahlen? Begibt man sich auf die Suche nach Studien, sind aber keine Literaturstellen darüber zu finden, wie diese Zahlen zustande kommen. Ein möglicher Erklärungsansatz könnte die Anzahl der Sekunden pro Tag minus 8 Stunden Schlaf sein. Rechnerisch kommt man auf 57.600 Sekunden, also rund 60.000. Das wären rund 41 Gedanken pro Minute!

 

Die Studie aus dem Jahre 2020 von JULIE TSENG und JORDAN POPPENK von der Queen’s University mit 184 Teilnehmern stellt den weit verbreiteten Mythos in Frage, dass Menschen täglich zwischen 60.000 und 80.000 Gedanken haben. Stattdessen deutet die Forschung darauf hin, dass wir eher auf etwa 6.000 Gedanken pro Tag kommen, wenn man ihre Ergebnisse extrapolieren würde.

 

Die Forscher konzentrierten sich darauf, wie sich die neuronale Aktivität im Gehirn während des Denkens verändert, insbesondere auf die Übergänge zwischen verschiedenen Denkzuständen. Mit Hilfe von Hirnscans (fMRT-Technologie) beobachteten sie den Übergang von einem Gedanken zum nächsten und identifizierten dabei sogenannte “Gedankenwürmer”. Diese bestehen aus aufeinanderfolgenden Perioden, in denen wir denselben Gedanken denken. Die Studie untersuchte diese Übergänge sowohl während des Ansehens von Filmen als auch in Ruhephasen, um zu verstehen, wie sich die Denkdynamik in verschiedenen Situationen manifestiert.

 

Besonders interessant war die Entdeckung, dass die Übergänge in Filmszenen mit dem Ende eines Gedankenwurms und dem Beginn eines neuen Gedankenwurms übereinstimmten. Dies deutet darauf hin, dass unser Geist ständig aktiv ist und Gedanken in aufeinanderfolgenden “Gedankenwürmern” auftreten.

 

Die Studie untersuchte auch den Zusammenhang zwischen Übergängen in der Netzwerkaktivität des Gehirns und dem Persönlichkeitsmerkmal Neurotizismus. Neurotizismus bezieht sich auf eine Tendenz zu emotionaler Instabilität, Ängstlichkeit, Unsicherheit und Verletzlichkeit. Die Ergebnisse zeigten, dass Personen mit höherem Neurotizismus tendenziell eine höhere Rate von Übergängen in der Netzwerkaktivität aufwiesen, sowohl im Ruhezustand als auch beim Ansehen von Filmen.

Zusätzlich zum Grübeln vor dem Einschlafen, wo bestimmte Gehirnnetzwerke aktiviert werden und Gedanken sich gegenseitig verstärken, wurde auch das Phänomen des “mental Rauschens” untersucht. Dieses Phänomen steht in Verbindung mit dem kontinuierlichen Denkprozess des Gehirns und hat Auswirkungen auf das Persönlichkeitsmerkmal Neurotizismus.

Gehirn unter Strom: Die Neurologie des Denkens

Was passiert im Körper, wenn wir denken? Jeder Gedanke, wenn ein bestimmtes Aktionspotential erreicht wird, löst im Gehirn eine biochemische Reaktion aus. Botenstoffe (Neurotransmitter, Neuropeptide und Hormone) werden ausgeschüttet.

 

Bei negativen Gedanken werden zum Beispiel. Adrenalin, Noradrenalin, Cortisol, Cytokine und Histamine ausgeschüttet, bei positiven Gedanken Serotonin, Oxytocin, Dopamin, Endorphine und Vasopressin. Diese Botenstoffe führen zu negativen oder positiven Emotionen. Auch auf der Körperebene nehmen wir die Gedanken schlussendlich wahr, zum Beispiel als Kloß im Hals, als Druck im Magen oder als verspannte Schultern.

 

Wenn wir uns entscheiden positiv zu denken, dankbar zu sein, Respekt und Wertschätzung anderen Menschen gegenüber zu haben, dann fühlen wir genauso wie wir denken und wir spüren das auch auf der Körperebene, wenn uns beispielsweise warm ums Herz wird.

 

Mentaltraining zeichnet aus, dass wir entscheiden können, wie wir denken. Wer ist verantwortlich für unser Denken? Ja genau, nur wir selbst! Und weil wir ohnehin den ganzen Tag denken, können wir entscheiden, unsere Gedanken in eine für uns positive Richtung zu lenken. Veränderungen sind jederzeit möglich. Positives Denken bedeutet aber nicht, alles durch die rosarote Brille zu sehen und negative Dinge im Leben einfach auszublenden. Positiv im Leben zu denken bedeutet Denken und Fühlen in Einklang zu bringen.

Was versteht man unter Neuroplastizität?

Neuroplastizität umschreibt die Fähigkeit unseres Gehirns, lebenslang veränderungs- und lernfähig zu sein. Die Wissenschaft war über 100 Jahre davon überzeugt, dass wir nur als Kinder lernen und uns anpassen können, als Erwachsene jedoch nicht mehr. Wenn Kinder nicht lernen wollen, sagen heute noch viele Eltern, um ihnen das Lernen schmackhaft zu machen: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.“

 

Unser Gehirn besitzt nach neuesten Forschungen circa 86 Milliarden Nervenzellen, auch als Neuronen bezeichnet. Jede Nervenzelle besteht aus drei Teilen:

 

1. Dendriten, das sind die Teile, die Signale empfangen, 2. dem Zellkörper, der die Signale verarbeitet und 3. dem Axon, der Teil, der die Signale zur nächsten Nervenzelle weiterleitet.

 

Wie werden jetzt aber die Signale im Gehirn von einer Nervenzelle zur nächsten übertragen? Wir nehmen unsere Umwelt über unsere fünf Sinne wahr: Sehen, Hören, Fühlen, Riechen und Schmecken. Diese Sinneswahrnehmungen werden in elektrische Impulse umgewandelt. Die Nervenzellen stehen nicht in direkter Verbindung zueinander, sondern zwischen den Zellen ist ein kleiner Zwischenraum, der sogenannte synaptische Spalt. Trifft ein elektrisches Signal am Ende des Axons ein, werden dort chemische Botenstoffe freigesetzt, die über den synaptischen Spalt den Dendriten erreichen und dort wieder einen elektrischen Impuls auslösen. Auf diese Art und Weise werden eingehende Signale unserer Sinne über zigtausende Neuronen in unvorstellbarer Geschwindigkeit, in Nanosekunden, weitergegeben.

Donald Hebb und Neuroplastizität

Die Plastizität ist immer gegeben, in unserem Gehirn finden ständig Aufbau- und Abbauprozesse statt. Bei Veränderungen werden neue Schaltkreise werden gebildet, d. h. wenn wir Neues lernen, eine neue berufliche Herausforderung haben, uns sportlich betätigen oder meditieren. Alte Schaltkreise werden abgebaut, wenn wir sie nicht mehr nutzen, z. B. wenn wir einen alten Glaubenssatz, der uns blockiert hat, durch eine neue Überzeugung ersetzen.

 

Der Wissenschafter Donald Ording HEBB hat 1970 folgende Aussage formuliert: „What fires together wires together.“ Das bedeutet, jene Nervenzellen im Gehirn, die gleichzeitig aktiviert werden, verbinden sich zu einem Neuronen-Netzwerk. Je stärker diese Synapsen-Verbindungen sind, desto leichter werden sie aktiviert.

Können Gedanken die Struktur des Gehirns verändern?

Wissenschafter haben untersucht, wie das Gehirn sich beim Lernen verändert. PASCUAL-LEONE et al. haben in einer oft zitierten Untersuchung gezeigt, dass alleine die Gedanken in der Lage sind, die physische Struktur des Gehirns zu verändern. In seinem Experiment bildete er zwei Testgruppen, die noch nie in ihrem Leben Klavier gespielt haben. Mittels fMRT-Untersuchungen (funktionelle Magnetresonanztomographie) wurde vor dem Experiment die Struktur des Gehirns aufgezeichnet. Dann brachte man den Teilnehmern eine bestimmte Tonfolge bei, indem ihnen gezeigt wurde, welche Tasten auf dem Klavier sie zu spielen hatten. Das Experiment ging über fünf Tage mit täglich 2 Stunden Übungszeit.

 

Die erste Gruppe hatte im Training die Aufgabe, sich nur vorzustellen, die Tasten der Tonfolge zu drücken. Die zweite Gruppe spielte die Tonfolge im Training real am Klavier.

Um Veränderungen sichtbar machen zu können, wurden am Ende der fünf Tage wieder Gehirnscans mittels fMRT aufgenommen. Pascual-Leone stellte dabei fest, dass sich die Gehirne beider Gruppen auf ähnliche Weise verändert haben. Sowohl die praktische Übung mit dem Klavier als auch die rein mentale Vorstellung schien eine Veränderung im Bewegungszentrum des Gehirns zu bewirken. Es wurden neue Synapsen gebildet und vorhandene Synapsen wurden verstärkt.

Wenn wir wirklich fokussiert sind, aktiviert unser Gehirn dieselben Synapsen = Schaltkreise, egal, ob wir uns etwas nur mental vorstellen oder tatsächlich real erleben. Es können im Gehirn ähnliche strukturelle Veränderungen beobachtet werden.

Literaturquellen

Weblinks

Zitat Marc Aurel – Abgerufen am 10.10.2020​

Botenstoffe – Abgerufen am 10.10.2020

Aktionspotential – Abgerufen am 10.10.2020​

PASCUAL-LEONE, A.; AMEDI, A.; FREGNI, F.; MERABET, L.B. [2005]: The Plastic Human Brain Cortex. Annual Review of Neuroscience  – Abgerufen am 09.10.2020​

BARTHELD, Ch.S.; BAHNEY, J.; HERCULANO-HOUZEL, S. [2016]: The Search for True Numbers of Neurons and Glial Cells in the Human Brain: A Review of 150 Years of Cell Counting. J Comp Neurol. Author manuscript; available in PMC 2017 Dec 15.  – Abgerufen am 06.10.2020

Hebbsche-Lernregel – Abgerufen am 09.10.2020.​

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